Ein Schaf umarmen
Ein Schaf umarmen

Barbara Krohn
Ein Schaf umarmen


Belletristik
978-3-934983-61-8
244 Seiten, Klappenbroschur

20,00 €


Leseprobe:

Das Haus, in dem Wolf wohnte, war alt und frisch saniert - freigelegte Balken an den Decken, marmorierte Wände im Treppenhaus. In den schmalen Schacht in der Mitte des Treppengevierts war ein noch schmalerer Aufzug eingebaut worden.
Gunilla rümpfte die Nase. Müssen wir uns da reinzwängen?
Jasper lächelte nachsichtig. Ist für uns doch wie geschaffen. Eine Spezialanfertigung für kalte Zeiten: auf dass man sich näherkommt.
Er zog sie an sich.
Durch den dicken, weichen Fellmantel ließ ihr Körper sich nur in Umrissen erspüren. Er wollte nicht kleinlich sein, aber es fühlte sich ein bisschen so an, als würde er ein riesiges ungeschorenes Schaf umarmen. Und er musste an seine Mutter denken: wie er sich als Junge an ihren dicken, weichen Körper gepresst hatte und sich gar keine andere Mutter vorstellen konnte - auch keinen Frauenkörper unter hundert Kilo. Erst mit vierzehn hatte sich das geändert, seine übergewichtige kurzatmige Mutter war ihm peinlich geworden, als Mutter und als Körper, und diese Haltung ihr gegenüber hatte er später nicht mehr zurücknehmen können, diese Distanz, durchsetzt von Schuldgefühlen, wenn sie sich zwei, dreimal im Jahr gegenüberstanden und sie den Sohn an sich ziehen wollte und er es halb geschehen ließ, sich dann aber schnell abstützte an ihr - wie Männer sich zu begrüßen pflegen. Inzwischen konnte er seiner Mutter ersatzweise die Enkel in die Arme drücken, allerdings kam sie jetzt viel öfter als früher zu Besuch, heute Abend zum Beispiel, als Babysitter.
Gunilla befreite sich aus seiner Umarmung. Sie konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: nicht mal ein Kinderwagen passe in den Fahrstuhl.






über Barbara Krohn
Barbara Krohn ist gebürtige Hamburgerin und lebt seit über 20 Jahren mit ihrer Familie in Regensburg. Nach dem Studium der Germanistik und Italianistik unterrichtete sie vier Jahre lang deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Neapel. Ihr erster Kriminalroman „Der Tote unter der Piazza“ (1998) wurde ebenso wie „Weg vom Fenster (1999) und der Kurzkrimi „Totentanz in Regensburg“ (2013) für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. „Rosas Rückkehr“ (2002) wurde vom ZDF unter dem Titel „Der Tote am Strand“ verfilmt.

Es folgten Erzählungen, Gedichte sowie die dreibändige Neapelkrimiserie um Commissario Gentilini und die Hamburger Journalistin Sonja Zorn. Mit „Alltagsrettung“ erschien 2010 eine ganz und gar unkriminelle Sammlung von 54 poetischen Texten zum Überleben im Alltag.

Barbara Krohn unterrichtet Kreatives Schreiben für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und ist Herausgeberin der Edition Kreatives Schreiben im KernVerlag. 2002 erhielt sie den Kulturförderpreis der Stadt Regensburg, 2011 ein Arbeitsstipendium des Oberpfälzer Künstlerhauses für das VCCA in Virginia, 2012 wurde ihr für ihr Werk der Kunstpreis für Literatur der REWAG-Kulturstiftung verliehen.

Mehr über Barbara Krohn erfahren Sie auf ihrer informativen Internetseite barbara-krohn.de.